State of the Path – Fünf Gründe, warum es Zeit für Pathfinder 2.0 ist

Vorweg erst einmal zur Klarstellung: Ich liebe Pathfinder. Und es gibt kein anderes Rollenspielsystem, mit dem in den vergangenen Jahren mehr Freizeit verbracht habe, als mit Pathfinder. Dennoch macht sich seit einiger Zeit leider immer mehr Ernüchterung breit über alle die Probleme, die sich im Laufe der Zeit bei so einem System ansammeln. Und inzwischen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die einzige Rettung ein Neustart wäre. Warum das so ist, und welche Probleme mich dabei am meisten stören, will ich heute in diesem Artikel mit euch teilen.

1. Umfang

Es ist vollkommen normal, dass ein Rollenspielsystem im Laufe der Zeit wächst und mehr Regeln und Optionen hinzukommen. Und für eine gewisse Zeit ist das auch gut so, denn so werden zum einen Regellücken gefüllt, zum anderen mit den neuen Optionen das Interesse der Art Spieler gehalten, die eben auf solche Dinge Wert legen. Aber wie jedes Wachstum ist auch dieses begrenzt. Irgendwann erreicht die bloße Menge an Option ein Maß, das einfach nicht mehr überschaubar ist. Und Pathfinder hat diese Grenze schon vor einer ganzen Weile erreicht. Gab es einst im Grundbuch elf Klassen, so ist die Anzahl mittlerweile auf 36 angewachsen. Und jede dieser Klassen hat irgendwo zwischen fünf und 25 Archetypen, die diese mehr oder minder stark verändern. Dazu kommen noch drei Klassen, die etwas mehr verändern als ein Archetyp, sowie vier „Unchained“ -Versionen bestehender Klassen, die wiederum mit einem Teil der Archetypen der von ihnen veränderten Klassen funktionieren, mit einem anderen Teil aber nicht.

Und bei den Klassen ist natürlich noch lange nicht Schluss. Aktuell finden sich in den entsprechenden Datenbanken mehr als 2300 Feats und Zauber. Nicht in Summe, sondern jeweils. Selbst alten Hasen, die das System haben wachsen sehen, geht da der Überblick irgendwann einfach verloren. Von Neulingen will ich an der Stelle gar nicht erst reden.

In der Vergangenheit war ein Mittel, den Überblick zu behalten, dabei das inoffizielle englische PRD (Anmerkung der Redaktion: Das gibt es übrigens auch nicht ganz so umfangreich auf Deutsch). Kostenlos und einfach konnte dort jeder Spieler nachschlagen und so meist schnell finden, was er gerade brauchte.

Verfügbar und kostenlos ist die Seite noch immer, aber leider ist das System mittlerweile derart umfangreich geworden, dass die Macher der Seite nicht mehr nachkommen, alles in der Qualität einzupflegen, wie es früher der Fall war. Die dort gelisteten Datenbanken sind fast zwei Jahre alt und zu vielen der neueren Klassen fehlen Verlinkungen in den entsprechenden Zaubern. Wodurch es natürlich noch schwieriger wird, in dem Heuhaufen an Möglichkeiten die Nadeln zu finden, die man gerade braucht.

2. Relikte

Der eben bereits beschriebene Umfang sorgt dabei auch noch für ein weiteres Problem: Dinge, die einfach liegen geblieben sind. Im Laufe der Zeit fanden sich in den verschiedensten Regelwerken optionale oder kleinere Regeln, die für sich genommen vielleicht ganz interessant gewesen wären. Aber da sie nicht zu den großen und allgemeingültigen Regeln gehörten, wurden sie bald wieder vergessen und nie wieder angefasst oder auch nur erwähnt. Auf der einen Seite gibt es da Regeln, die nur einen kleinen Teil in einem Buch belegten (zum Beispiel die Words of Power aus dem Ultimate Magic). Aber auf der anderen Seite gibt es ganze Regelbücher, die nur aus solch optionalen Regeln bestehen (die Regeln für mythische Charaktere oder das Pathfinder Unchained sind hierfür Beispiele).

Aber egal, wie groß der ursprüngliche Umfang war, sie alle sind nun nur noch Relikte, die in kaum einer Publikation noch einmal aufgegriffen wurden. Zum Beispiel gibt es zu keinem der drei erwähnten Punkte auch nur einen Vorschlag, wie diese mit den okkulten Klassen zusammen funktionieren. Keine Words of Power, keinen Mythic Path, kein Variant Multiclassing. Eine Runde steht also im Zweifel vor der Wahl, was von beiden sie weglassen will: die okkulten Klassen oder die erwähnten Relikte.

3. Power Creep

Es ist bei D&D und seinen Derivaten schon lange so, dass neue Regelwerke die alten immer ein Stück übertreffen mussten. Offenbar ist dadurch der Kaufanreiz für Spieler größer. Aber mittlerweile hat der Power Creep bei Pathfinder ein Ausmaß erreicht, das einfach nicht mehr schön ist. Betrachtet man die Klassen aus den neueren Regelwerken, so sind sie oftmals fast schon direkte Verbesserungen bestehender Klassen. Warum sollte ich einen Rogue spielen, wenn es doch statt dessen den Slayer gibt? Oder den Unchained Rogue?

Aber nicht nur die Spielercharaktere sind im Laufe der Zeit besser geworden, sondern auch die Gegner. Schaut man sich beispielsweise Kreaturen aus dem Bestiary 1 und dem Bestiary 5 an, so gibt es durchaus ähnliche unter ihnen. Zum Beispiel den Goblin Dog und den Akaname. Beide sind CR1, haben eine AC von 13, einen Angriff und dieser macht einen negativen Effekt. Aber der Akaname hat 44% mehr Trefferpunkte, trifft um +2 besser und macht dafür im Schnitt nur einen Punkt weniger Schaden. Und selbst das kann er dank Power Attack negieren. Dann macht er den gleichen Schaden, aber greift nur noch um einen Punkt besser an.

Ein derartiger Power Creep sorgt aber, neben den besseren Verkaufszahlen, auch dafür, dass neuere Monster und auch Abenteuer und Kampagnen sich an dem neuen und höheren Powerniveau orientieren müssen, um interessant zu bleiben. Das wiederum sorgt dafür, dass neue Spieler, die vielleicht erst das Grundbuch zur Verfügung haben, ihre liebe Mühe haben werden, diese Abenteuer zu bestehen. Die Alternative, nämlich die Abenteuer nicht auf das höhere Niveau anzuheben, sorgt jedoch dafür, dass die Spieler mit Zugriff auf das komplette Portfolio an Möglichkeiten sie zu einfach finden werden. Wie schon bei den Relikten oben ist so über die Zeit eine Situation entstanden, die nicht sauber aufzulösen ist, ohne die eine oder andere Gruppe zu verärgern.

4. Mitgeschleppte Probleme

Es ist vollkommen normal, dass sich im Laufe der Zeit nicht nur gute Sachen akkumulieren, sondern auch schlechte. Und das ist bei Pathfinder nicht anders. Manche Regeln waren von Anfang an nicht besonders gut (warum kann man mit Low Light Vision Nachts nicht mehr sehen als ohne? Ohne Lichtquelle ist das nämlich nutzlos), andere waren vielleicht mal sinnvoll, haben sich aber im Laufe der Zeit als hinderlich herausgestellt (So zum Beispiel die Swift Action und Immediate Action, die für manche Charaktere ein stärker limitierender Faktor sind als Bewegungs- oder Standardaktionen).

Aber sie alle haben eines gemeinsam: Im bestehenden System massive Änderungen vorzunehmen, würde so viel Aufwand bedeuten, dass es sich einfach nicht lohnt. Denn ohne entsprechenden Aufwand würde man höchstens andere Probleme schaffen. Erst mit einem kompletten Redesign könnte man diese Probleme eliminieren, indem man sie von vorn herein bedenkt. Und dass Paizo über ein paar solcher Punkte nachdenkt, sieht man in Pathfinder Unchained sehr gut. Die Lösungen, die dieses Buch bietet, mögen noch nicht alle ausgereift sein, aber sie sind ein guter Ansatz.

5. Das System ist komplett

Alle bisher genannten Punkte sind durchaus wichtig. Aber den bedeutendsten habe ich mir bis zum Schluss aufgehoben: Pathfinder ist in seiner aktuellen Form eigentlich komplett. Beziehungsweise war das bereits vor einiger Zeit. Die Klassen aus dem Occult Adventures bringen spielerisch wenig neues und passen in viele Kampagnen und Welten nur bedingt hinein. Und das kommende Regelwerk ist sogar noch spezieller: Ultimate Intrigue! Die neue spielbare Klasse darin: Der Vigilant, der eine geheime Zweitidentität hat, mit der er auf Verbrecherjagd geht. In etwa Batman in Pathfinder also. Und dank Power Creep wird die Klasse natürlich wieder so gut sein, dass man an ihr kaum vorbei kommt.

Schlusswort

Paizo will weiter Regelwerke verkaufen. Und das ist auch völlig in Ordnung. Aber das wird immer schwieriger, wenn nicht bald ein Neustart des Systems erfolgt. Zu viel gibt es bereits, zu kompliziert sind die Regeln geworden, um grobe Fehler zu verhindern, die im Laufe der Zeit immer häufiger geworden sind.

Dieser Neustart wäre auch aus Sicht von Spielern – alten wie neuen – durchaus zu begrüßen. Denn so könnten Altlasten entsorgt werden und das System eine Frischzellenkur erhalten und so auf Dauer wieder erheblich besser werden.

Die ersten Ansätze und Ideen für neue Konzepte finden sich wie Brotkrumen immer wieder in den letzten Regelwerken. Von daher wird es immer wahrscheinlicher, dass wir bald mit einem neuen Pathfinder rechnen können. Und ich für meinen Teil freue mich bereits darauf zu sehen, wie das System auf diese Weise weiterentwickelt werden kann.

Artikelbilder: Paizo LLC