Kampfkunst und LARP-Kampf – Übertrieben hart oder hart übertrieben?

Der Duft der Wiese ist herb. Die Sonne hat das Gras ausgetrocknet und hellgrün werden lassen. Mit blinzelnden Augen stehen sie sich gegenüber. Der Paladin hat seinen Zweihänder fest im Griff. Sein Rücken leicht gekrümmt, ist er bereit zum Sprung. Wie eine Katze schleicht er um seinen Gegner. Der hintere Fuß ist nur noch auf dem Fußballen abgelegt, bereit für einen Ausfall. Der Hordler, sein bitterster Widersacher, lacht verhöhnend. Mit Schwert und Schild sieht er sich im Vorteil. Die polierten Schultern des Paladins blitzen im Licht. Der Schweiß rinnt beiden unter ihren Helmen herunter. Der Atem geht schwer. Wenn man genau hin hört, ist das Schnaufen zu hören.

Plötzlich schnellt der Paladin vor. Die Klinge seines Schwertes bewegt sich in rasender Geschwindigkeit auf die linke Schulter seines Gegners zu. Kurz vor dem Auftreffen winkelt der gottesfürchtige Kämpfer seine Handgelenke ab, sodass er mit einem anderen Winkel auftreffen kann. Der Chaospaktierer ist überrascht. Mit einer solch schnellen Bewegung hat er nicht gerechnet. Er versucht nach hinten auszuweichen und seinen Schild in die Richtung des Schlages zu bringen. Doch ein dumpfer Schlag signalisiert einen Treffer. „Du Fuchtler. Du musst das Gewicht der Waffe ausspielen, du Blödmann!“ Der Getroffene ist sauer. Er hat den Kampf verloren und ist in seiner Ehre gekränkt. So hätte das nicht sein sollen. In seiner Vorstellung hätte der Kampf anders verlaufen sollen, ja müssen. Sie streiten sich.

Kampf überfordert die meisten Menschen

So oder so ähnlich ist es schon oft geschehen. Die Vorstellungen, wie Kampf im LARP auszusehen hat, ist so vielfältig wie die Meinung von zwei Juristen zu einem Fall. Meist liegt es daran, dass unterschiedliche Spieler einfach einen anderen Ansatz verfolgen. Für die einen ist Kampf im LARP das Gleiche wie ein Wettkampf im Sport. Es gewinnt, wer die meisten Treffer erzielt und damit den Gegner nach den Regeln besiegt. Für andere ist es eine Choreografie mit dem Anspruch, sich selbst und andere zu begeistern. Für sie ist es Ziel, einen Film von einem Kampf abzuliefern, der nicht nur ästhetischen Ansprüchen genügt, sondern auch dramaturgischen.

Hand aufs Herz: Wer kann denn so etwas? Die wenigsten Menschen sind Choreograf für filmische Kampfszenen. Etwas mehr zumindest üben unterschiedliche Kampfsportarten und haben damit zumindest das Potenzial, sich selbst in Szene zu setzen. Sei es durch gekonnte Techniken oder grazile Bewegungen. Und das zeigt das größte Problem im LARP-Kampf auf: Er ist anspruchsvoll und schwer. Und für viele – eigentlich – eine völlige Überforderung. Welche der genannten Philosophien nun die bessere oder berechtigtere ist, spielt dabei überhaupt keine Rolle. Und soll deshalb auch nicht an dieser Stelle behandelt werden.

LARP-Kampf ist künstlich

Kampfkunst im LARP sei eine Gefahr. Und ich frage mich, warum? Je mehr ein Spieler genau das trainiert, was er im Spiel tun möchte, desto besser. Das Argument derjenigen, die gegen das Vermischen von Kampfkunst und LARP-Kampf sind, ist meist folgendes: Ein Kampfsportler wird dazu konditioniert, reflexartig und damit ohne genaue Willenssteuerung zu reagieren. Also seinen Gegner ohne Nachdenken auszuschalten. Wenn das so wäre, wären die Kriminalstatistiken in Deutschland voll von Totschlägen. Sind sie aber nicht.

Die Realität ist, dass die wenigsten Kampfkünstler so kämpfen. Und echte Elite-Kämpfer, wie beispielsweise Special Forces in den Armeen, sind eben genau keine kopflosen Haudraufs. Denn ihre Erfahrung und Übung in echten Kampfsituationen und Übungsszenarios die so realitätsnah sind, dass sie tatsächlich mit einem echten Kampf vergleichbar wären, schult sie, stets auch das richtige Mittel im Kampf zu wählen. Verhältnismäßigkeit und die korrekte Anwendung von Gewalt gehört ebenso zum Training wie die Techniken selbst.

Bei Kampfkünstlern unterscheidet sich die Ausbildung. Zwar werden Reflexe geschult und immer wieder bestimmte Bewegungsmuster einstudiert, um auf Situationen zu reagieren. Doch in einem echten Kampf bestehen in der Regel die wenigsten. James (Name geändert, Anm. d. Red.), ehemaliger Navy Seal und Kampftaucher, hat eine einfache Erklärung dafür. Denn die Übungssituation im Dojo, in der Trainingshalle, ist genauso künstlich wie die Situation im LARP. Sie folgt genauen Regeln. Und auch Roland Warzecha, Trainer für historische Kampfkunst in Hamburg, sagt in einem Artikel über das Thema: „Man kann im Kampf nur einsetzen, was man zuvor geübt hat.“ Die meisten Übungen in der Kampfkunst haben einen definierten Start und ein definiertes Ende. Sie enden nämlich dann, wenn die zu übende Technik durchgeführt wurde. Und der „Kampf“ beginnt, wenn beide Bereitschaft signalisiert haben. Real ist anders.

Ein echter Kampf beginnt überraschend. Hierin liegt die große Gemeinsamkeit zwischen LARP und der Realität. Meist nutzt der Gegner einen taktischen Vorteil, die Unwissenheit seines Opfers, oder die Vorteile der Umgebung für sich. Der Angreifer hat die Initiative, der Verteidiger muss reagieren. Doch dieser Aspekt des LARP-Kampf ist es, der auch gleichzeitg seine Gefahr ausmacht. Unvorhergesehenes ist schwer einzuschätzen. Und damit ist eine adäquate Reaktion ebenfalls schwer auszumachen. Je schlechter geschult ein Mensch im Kämpfen ist, desto mehr unvorhergesehene Situationen werden auf ihn zukommen. Je schlechter er vorbereitet ist, desto schlechter wird er reagieren. Und deshalb halte ich Kampfkunst in jedem Fall für einen Gewinn.

Was die Kampfkunst bringt

Das Üben von Techniken, seien sie nun real dazu geeignet, einen Gegner zu verletzen oder gar auszuschalten, bringt eine Vielzahl an Fähigkeiten mit sich. Zunächst einmal lernt jeder Übende, sich selbst besser einzuschätzen. Er lernt sich kennen und wie er in Stresssituationen reagiert. Er lernt, ob er lieber angreift oder verteidigt, ob er ungestüm ist oder überlegt und taktierend. Kurz: Er lernt seinen Charakter kennen.

Darüber hinaus kann ein Kampfkünstler seinen eigenen Körper besser kontrollieren und weiß mehr über Biomechanik als ein Ungeübter. Er weiß, mit welcher Handhaltung ein Hieb in welchem Winkel erfolgen kann und welcher Schlag unmöglich ist. Er lernt, im Kampf zu fallen, Schläge abzuwehren, sich zu bewegen und Distanzen einzuschätzen. Das führt zu einer besseren Kontrolle im Kampf. Denn wer weiß, wie ein Mensch sich bewegt, kann auch den Körper seines Gegners besser lesen und damit einfacher und adäquater auf seine Handlungen reagieren. Wird die Distanz zum Gegner richtig eingeschätzt, ist ein unbeabsichtigter Treffer in einer kritischen Zone unwahrscheinlicher. Das Verletzungsrisiko sinkt dementsprechend.

Die eigentliche Gefahr

Für mich liegt die größte Gefahr im LARP-Kampf darin, dass er Stress bei seinen Beteiligten auslöst. Dabei ist es egal, ob jemand gewinnen will oder nicht verlieren oder ein Spieler Angst um seinen Charakter hat. Der Stress sorgt dafür, dass Dinge anders wahrgenommen werden, Menschen überreagieren oder sich in die künstliche Situation zu sehr hineinsteigern, dass sie eben keine reale und damit objektive Einschätzung einer Situation mehr vornehmen können.

Der Stress kann zu Gefühlen von Hilflosigkeit, Angst, Ärger und Wut sowie starken Aggressionen führen. Das ist die Gefahr. Denn wer sich selbst nicht mehr unter Kontrolle hat, kann auch einen LARP-Kampf, der eben kein echter Kampf um Leben und Tod ist, nicht mehr positiv beeinflussen. Der Spieler verliert die Kontrolle über sich, es besteht die große Gefahr der Überreaktion. Die meisten Spieler haben genau das schon erlebt. Mitspieler schlagen viel zu fest zu oder Schläge werden einfach nur als viel zu fest wahrgenommen. Jemand ärgert sich, es kommt zu OT-Wortgefechten. Andere schlagen einfach immer und immer wieder auf unerlaubte Trefferzonen, nehmen nicht wahr, dass sie schon 40 Hiebe abbekommen haben, obwohl sie keine Rüstung tragen und wüten immer weiter durch die gegnerischen Reihen.

Kampfkunst kann helfen, mit solchem Stress besser umzugehen. Je mehr Spieler an Kampfsituationen gewöhnt sind, selbst wenn es nur unrealistische Wettkampfsituationen sind, desto besser können sie darauf reagieren. Ja, es besteht kein unmittelbarer Zwang zwischen Übung und Kontrolle. Doch die Chance steigt um ein vielfaches im Vergleich zu demjenigen, der nichts übt. Welche Kampfkünste vielleicht besser oder schlechter geeignet sind, um im LARP zu bestehen kann in unserer Reihe weiter verfolgt werden.

Artikelbilder: (c) Nabil Hanano, Drachenfest